Deutschland hat im Rahmen der Energiewende den Ausstieg aus der Kernenergie bis Anfang der 2020er Jahre beschlossen. Um einerseits die damit wegfallende Leistung effizient, sauber und robust auszugleichen sowie die Versorgungssicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, hat der Bund beschlossen, große Investitionen für die Erforschung und Entwicklung von erneuerbaren Energien, hierbei insbesondere auch für Windenergietechnologien, einzusetzen. Ein wesentlicher Bedarf bei der Erforschung von Windenergieanlagen liegt in der Entwicklung fortschrittlicherer und größerer Rotoren, um den zukünftigen Energiebedarf zu befriedigen. Für solche Rotoren müssen neue Technologie-Konzepte verfolgt werden, die in bisherigen Produkten keine Berücksichtigung gefunden haben und für die im Entwicklungsprozess deutlich höherwertige Auslegungs- und Umsetzungsmethoden erforderlich sind.
Im Rahmen des Projektes SmartBlades1 * wurden drei Technologien für die Konstruktion und den Bau von größeren Rotorblättern untersucht. Die mit diesen Technologien ausgestatteten Rotorblätter sollen die Fähigkeit haben, sich optimal an variable Windbedingungen anpassen zu können, Böen-Belastungen besser zu ertragen und in der Lage sein, höhere Energieerträge zu erbringen. Gleichzeitig müssen die Blätter leicht genug bleiben, um kosteneffizient herstellbar, transportierbar und montierbar zu sein. Im Projekt SmartBlades1 wurde das Potenzial drei unterschiedlicher Technologien aufgezeigt. Einerseits wurden Blätter konzipiert, die sich durch eine Biege-Torsionskopplung (BTK) passiv an die Belastungssituation anpassen können. Außerdem wurde die Anwendung von Vorder- und Hinterkanten-Klappen zur Kontrolle und zur Beeinflussung des aerodynamischen Verhaltens des Blattsystems studiert. Diese Systeme funktionieren in ähnlicher Weise wie Flugzeughochauftriebssysteme und Steuerungsflächen.
Die Ergebnisse von SmartBlades1 veranschaulichen das Potenzial der innovativen Blatt-Technologien und konnten ein erhöhtes Interesse der Industrie für solche Anwendung wecken. Dies führte zum Folgeprojekt: SmartBlades2. Im Rahmen dieses Projektes nutzen der Forschungsverbund Windenergie und ein Konsortium von Industriepartnern jetzt gemeinsam ihre Kompetenzen, um die entwickelten Konzepte für eine neue Generation von Rotorblättern zu testen und auszuwerten.
Das Konsortium begann mit seinen gemeinsamen Forschungsaktivitäten für SmartBlades2 im September 2016. Das Projekt wird vom Deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert und ist mit einem Budget von 15,4 Millionen Euro geplant. Mehr als 50 Forscher und Mitarbeiter sind an dem Projekt beteiligt und untersuchen vielfältige Aspekte, wie das Strukturdesign, die Produktion, das aerodynamische Verhalten und die Regelung des Systems. Die drei Technologien werden von den Wissenschaftlern mit dem Ziel weiterentwickelt, entsprechende Blätter herstellen zu können und unter realistischen Bedingungen zu testen. Hierdurch erreichen die neuen Konzepte ein höheres Technology Readiness Level (TRL), was die Einführung in den industriellen Einsatz deutlich erleichtert.
Fertigung und Testen der BTK-Smart Blades (Technologie 1)
Die erste Technologie untersucht die Kopplung von Biegung und Torsion der Blatt-Struktur mit dem Ziel, den Bau von Rotorblättern, die sich auf variable Windverhältnisse passiv einstellen können, zu ermöglichen. Dies bedeutet, dass sich die Blätter entlang ihrer Spannweite verdrehen können, um einen optimalen Anstellwinkel zu erreichen und dem Wind damit beispielsweise bei starken Böen eine kleinere exponierte Fläche anzubieten. Hierdurch können bei hohem Energieertrag Schäden vermieden werden.
Mit dem im Rahmen von SmartBlades1 entwickelten Design für 20 m Rotorblätter als Startpunkt, wird während SmartBlades2 ein kompletter Blattsatz für eine Windkraftanlage hergestellt. Diese Blätter werden im Zentrum für Leichtbauproduktionstechnologie (ZLP) vom DLR mit Sitz in Stade gebaut. Das ZLP ist für die gesamte Prozesskette zur Herstellung von Bauteilen aus faserverstärkten Verbundwerkstoffen ausgestattet und konzentriert sich in enger Zusammenarbeit mit der Industrie auf industrielle Fertigungstechnologien, auf eine kostengünstige Entwicklung und auf innovative Fertigungsmethoden von Leichtbaustrukturen.
Nach der Fertigung beim ZLP wird eines der gefertigten Blätter nach Bremerhaven transportiert und dort im Testzentrum des Fraunhofer IWES getestet. Das Institut konzentriert sich auf die Validierung technologischer Entwicklungen im Bereich der Windenergie. Darüber hinaus beschleunigt das IWES die Markteinführung innovativer Produkte und verbessert die Zertifizierungsprozesse. Das Zentrum bietet eine einzigartige Testinfrastruktur mit hochmodernen Laboren und Messgeräten, die die systematische Identifikation und Reduzierung von Entwicklungsrisiken ermöglichen. Das „smarte“ Rotorblatt, das beim IWES getestet wird, wird mittels statischen und dynamischen zertifizierten Tests überprüft. So können das Verhalten und die Integrität der mit dem neuen Design gebauten Blätter gründlich untersucht werden.
Zusätzlich zu den Tests beim IWES wird ein kompletter 3-Blatt-Rotor auf einer Freifeld-Forschungsturbine montiert, wo das Verhalten des Systems unter realen Umgebungs- und Wetterbedingungen untersucht und gemessen wird. Eine intensive Testkampagne wird auf dem hochinstrumentierten Rotor stattfinden und dessen Verhalten wird im Detail vermessen.
Die Messergebnisse aus beiden Tests werden dafür verwendet, das Design- und die Simulationsmethoden zu validieren, die im Rahmen von SmartBlades1 und SmartBlades2 entwickelt wurden. Die Tests werden auch zeigen, wie sich die neuen Technologiekonzepte und Fertigungsmethoden bewähren. Darüber hinaus werden die Untersuchungen das ökonomische Potenzial des BTK-Konzeptes auf einem deutlich höheren Technology Readiness Level veranschaulichen.
Letztendlich werden die Forschungsergebnisse zur Verbesserung sowohl der Modelle als auch der Technologien genutzt. Damit wird das Risiko des Einsatzes neuer Methoden zur Gestaltung größerer Smart Blades reduziert und das Designspektrum für Smart Blades-Systeme erweitert. So sollen die Industriepartner auf ihrem Weg zur Herstellung von intelligenten Blättern in Massenproduktionsprozessen für zukünftige, größere, leistungsstärkere und effizientere Windrotorblätter unterstützt werden.
Aktive Hinterkanten für Smart Blades (Technologie 2)
Die zweite Technologie, die im SmartBlades2-Projekt untersucht wird, konzentriert sich auf den Einsatz von aktiven Elementen, die in der Lage sind, die hinteren Kanten der Blätter kontrolliert zu modifizieren. Es handelt sich um eine Technologie, die von Flugzeug-Hochauftriebssystemen und Steuerflächen inspiriert wurde. Der Hauptvorteil des neuen Blatt-Systems ist seine erworbene Fähigkeit, die Form des Tragflügels schnell zu verändern, sodass sich die Blätter an schnell und stark wechselnde Windverhältnisse, wie Böen, anpassen und so ihre Leistung unter allen notwendigen Umständen verbessern können.
Das strategische Ziel dieser Technologie ist es, einerseits aktuelle Ergebnisse aus Simulationen hinsichtlich des strukturellen Dimensionierungsprozesses der flexiblen Hinterkante in Verbindung mit aerodynamischen Wechselwirkungen zu validieren und andererseits die mögliche Umsetzung von aktiven Hinterkanten-Technologien innerhalb des gesamten Windenergieanlagensystems weiter zu bewerten.
Um diese Ziele zu erreichen, wird ein Blattabschnitt mit einer flexiblen Hinterkante auf einem Schleuder-Prüfstand montiert und unter realen Umgebungsbedingungen getestet. Das Ziel dieses Tests ist, das Erreichen der gewünschten aerodynamischen und mechanischen Effekte (wie z. B. Zentrifugalkräfte und gemeinsame Witterungseinflüsse) unter echten Belastungsbedingungen zu beweisen. Das wird die Implementierung des Konzeptes in größeren Rotorblättern erlauben.
Die aus den Schleuderprüfstandtests resultierenden Messungen werden für die Validierung von Simulationsmodellen verwendet, die ursprünglich für die Vorhersage des Verhaltens der Struktur unter realen Bedingungen verwendet wurden. Darüber hinaus wird das aerodynamische Verhalten des verwendeten Modells in einem Windkanal getestet, um den Einfluss des Hinterkanten-Ausschlags auf die Polare des Blattsegmentdemonstrators zu untersuchen und eine endgültige Validierung der aerodynamischen Simulationsergebnisse zu ermöglichen.
Um diese Forschungsgebiete zu ergänzen, fokussiert sich ein weiterer Teil von Technologie 2 auf die Regelung des Hinterkanten-Systems. Im Rahmen dessen wird die Interaktion eines IPC-Steuerungssystems mit einem Blattsystem mit flexiblen Hinterkanten untersucht und ausgewertet. Das Ziel ist es zu zeigen, dass eine Echtzeit-Steuerung der entwickelten Hinterkante in den Windkanal-Tests möglich ist und, dass Lasten durch das "Hardware in the Loop"-Modell des aktiven Systems stark reduziert werden können.
Darüber hinaus werden die akustischen Effekte der Verwendung einer zusätzlichen beweglichen Komponente, der Klappe, und der damit verbundenen Lücken zwischen der Klappe und der Struktur untersucht und Ansätze zur Verringerung eventueller Störungseffekte, wie z. B. Inkremente auf Lärmemissionsniveaus, entwickelt.
Adaptive Vorflügelkonzepte für Smart Blades (Technologie 3)
Die dritte Technologie beschäftigt sich mit dem Studium des Einflusses von Vorderkantenflügeln oder Slats auf das aerodynamische Verhalten von 2D-Rotorblatt-Profilen und von Rotorblättern unter turbulenten Einströmbedingungen. Die Forschungsarbeiten innerhalb dieser Technologie sind in drei Hauptarbeitspakete aufgeteilt, die drei mögliche Implementierungen mit abnehmender Adaptivitäts-Komplexität abdecken: von aktiven über passive bis hin zu starren Vorflügeln, jede mit einem unterschiedlichen technischen Ziel.
Als starre Einheit schiebt der Vorflügel den Anstellwinkel für maximalen Auftrieb zu höheren Werten, wodurch die Häufigkeit des Auftretens eines Strömungsabrisses bei fluktuierenden Einströmbedingungen reduziert wird. Als aktive und als passive Einheit verändert der Slat die Lücke zwischen dem Hauptprofil und dem Vorflügel, wodurch die Strömung um das Profil beeinflusst wird und in unterschiedlichem Auftriebs- und Widerstandsverhalten resultiert. Das ermöglicht eine Milderung von Schwankungen aufgrund der wirkenden Kräfte. Als Anwendungsfall können unterschiedliche Konzepte entlang der Spannweite des Rotorblatts einer Windkraftanlage eingesetzt werden, um eine optimierte Lastverteilung über das Blatt zu erreichen.
Es werden detaillierte Windkanaluntersuchungen an 2D-Profilen für die aktiven und passiven Lösungen und an einem Modell einer Windkraftanlage mit starren Slat-Systemen stattfinden, um das Verhalten der drei verschiedenen Vorflügelkonzepte unter turbulenten Windverhältnissen systematisch zu charakterisieren. Da der aktive Vorflügel mehr Steuerungsmöglichkeiten als die anderen Lösungen bietet, werden die Ergebnisse aus der detaillierten Charakterisierung im Windkanal als Referenz für die anderen Konzepte dienen. Außerdem wird das aktive Vorflügel-Profil mit einem – während SmartBlades1 entwickelten – offenen Regler-Schema dafür verwendet, das Regelungssystem der Vorflügel weiterzuentwickeln. Im Rahmen dessen wird das kontrollierte Slat-System unter reproduzierbaren turbulenten Einströmungsbedingungen getestet. Basierend auf den Ergebnissen der Charakterisierung des aktiven Systems wird eine autonome passiv-adaptive Kinematik entwickelt und hergestellt. Ziel dieses Systems ist es, den dominanten Schwankungen der turbulenten Windströmung positiv entgegenzuwirken. Das Potenzial des passiven Konzeptes ist für 2D-Profile mit dem eines aktiven Slats zu vergleichen.
Um den Einfluss der mit einem Slat modifizierten Blätter auf das dynamische Verhalten des Windenergieanlagensystems als Ganzes untersuchen zu können, wird die Komplexität der Slat-Technologie reduziert und mit einem starren passiven Slat angenähert. Das Konzept wird für Windkanalversuche an einem kleinen Windkraftanlagenmodell mit einem Durchmesser von 1,8 m implementiert. Bei den Tests im Windkanal werden stochastische Analysemethoden angewendet, um das dynamische Verhalten mit und ohne passive Vorflügel unter verschiedenen turbulenten Einströmbedingungen zu untersuchen. Darüber hinaus wird das Konzept des starren Slats auf einer Multi-MW-Windkraftanlage getestet. Neben diesen Studien zur Bestimmung des Einflusses der Vorflügel auf die durchschnittliche Leistung der Windkraftanlage werden stochastische Analysen benutzt, um einen Überblick über das dynamische Verhalten des Systems unter realen Bedingungen mit und ohne beigefügten starren Slat zu erhalten.
Das strategische Ziel der dritten Technologie ist es, den aktiv gesteuerten Vorflügel in ein autonom (passiv) arbeitendes adaptives kinematisches Vorderkanten-System zu entwickeln. Dazu wird neben der Charakterisierung der reinen aerodynamischen Effizienz auch das dynamische Verhalten des Systems detailliert untersucht und dann im Windkraftanlagen-Entwicklungsprozess berücksichtigt.
Querschnittsthemen (Technologie 4)
Die Querschnittsthemen, auch Technologie 4 genannt, beschäftigen sich mit der Weiterentwicklung ausgewählter Methoden und Technologien, die zum Teil während SmartBlades1 entwickelt wurden. Dabei geht es insbesondere um Erkenntnisgewinne im Kontext der gesamten Windenergieanlage. In den Querschnittsthemen wird der Nutzen von Smart Blades ermittelt und die Vor- und Nachteile der Technologien 1-3 herausgestellt. Durch die Loslösung vom isolierten Rotorblatt und die Betrachtung des Gesamtsystems wird eine ganzheitliche Betrachtung in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht ermöglicht.
Das strategische Ziel der Querschnittsthemen ist, eine klare Aussage zu Vor- und Nachteilen der untersuchten Smart Blades-Technologien zu treffen, um die Potenziale und Möglichkeiten, die diese der Windenergie-Industrie bieten, darzustellen, aber auch um die nächsten Schritte einer Weiterentwicklung aufzuzeigen.
In diesem Kontext werden Themen adressiert, die bisher nur sekundär behandelt wurden, allerdings zum Versagen der Rotorblattstruktur und der Anlage führen oder zur erheblichen Verbesserung der Anlagenperformanz beitragen können. So werden nun fokussiert Aspekte der Rotorblatt-Verklebungen, der aeroelastischen Stabilität und der adaptiven Regelung bearbeitet. Die Erforschung dieser Bereiche wird nicht nur das Vertrauen in die Smart Blades-Technologien stärken und die Qualität und Performanz der Entwürfe verbessern, sondern auch die Wahrscheinlichkeit einer industriellen Implementierung erhöhen.